Die Reise geht weiter

von Hagen Haas

Der Bonner Organist Peter Jurgilewitsch arbeitete fast 20 Jahre lang als Kantor in Pützchen. Dann machte er ein Hobby zum Beruf und wurde Kreuzfahrtdirektor an Bord des ZDF-Traumschiff.

Das Symbol hängt gleich neben der Wohnungstür. Das Symbol für die zwei Leben des Peter Jurgilewitsch. Es ist ein Rettungsring. Rot und weiß, eine Ikone in der maritimen Ausrüstung. Diesen Rettungsring schenkten ihm die Mitglieder des Collegium Cantandi zum Abschied. Jurgilewitsch verabschiedete sich als Kirchenmusiker und wurde Kreuzfahrtdirektor. Er verließ das beschauliche Pützchen, einen Ortsteil im Bonner Stadtbezirk Beuel, und ging an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Nicht irgendeines Kreuzfahrtschiffes: Das Motorschiff (MS) Deutschland ist als „Traumschiff“ aus dem gleichnamigen Unterhaltungsklassiker des ZDF bestens bekannt.

Fotografie, Reisen, Musik. Das sind die Leidenschaften des 53-Jährigen. „Ich habe alle meine Hobbys zum Beruf gemacht – das ist der Glücksfall meines Lebens“, sagt Peter Jurgilewitsch. In seinem Wohnzimmer in Pützchen sind überall Zeugnisse seiner wechselvollen Biografie versammelt. In den hohen Regalen ganze Legionen an Schallplatten und CDs mit Kirchenmusik und Klassik.
Auf Beistelltischen, Fensterbänken und an den Wänden zahlreiche Artefakte aus der ganzen Welt. Eine Sitar aus Indien. Ein Straußenei aus Südafrika. Eine Onyx-Figur aus Yucatan. Ein jemenitischer Krummdolch. Eine eigenhändig ausgegrabene Sandrose aus Tunesien. „Kein Touristenschund“, darauf legt der Globetrotter großen Wert. 117 von 194 Ländern der Erde hat der Gentleman mit der energischen silbergrauen Haartolle bereits besucht.

Zurück auf Anfang

Geboren 1959 in Bonn, wächst Jurgilewitsch im rechtsrheinischen Ortsteil Schwarzrheindorf auf und studiert später Kirchenmusik und Chorleitung in Aachen. „Kirchenmusik muss von allem etwas können, es ist die tiefgründigste Ausbildung in der Musik überhaupt.“ Sein Talent fällt schnell auf: Noch während des Studiums wird ihm die Stelle des Kantors in der katholischen Pfarrgemeinde Sankt Adelheid in Pützchen angeboten.
Ein exponierter Posten. Die Wallfahrtskirche ist weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt, der mit ihr historisch verbundene Pützchens Markt ist die umsatzstärkste Fünf-Tages-Kirmes Deutschlands. „Ich habe im Juli 1979 mein Examen gemacht und war Ende August bereits für die Wallfahrt-Oktav in Pützchen tätig.“ Ein Kickstart. Ein Jahr darauf gründet er das Collegium Cantandi Bonn, das sich rasch zu einem renommierten und dauerhaften Chorprojekt entwickelt.

„Reisebegeistert war ich schon immer“, sagt Jurgilewitsch und rührt in seinem Kaffee. Rund 60 Länder hat er schon bereist, als er zum ersten Mal auf ein Schiff steigt. Der nächste Schritt: etliche Diavorträge in der Kirchengemeinde und im Bonner Stadtgebiet. So wird die Reederei Peter Deilmann in Hamburg auf ihn aufmerksam. Das ist 1995, und Peter Jurgilewitsch sattelt um. Drei Jahre lang ist er an der Bord des damaligen MS Berlin

„Das Leben hat mich hin- und herbewegt-wie Wellen auf dem Meer“
Peter Jurgilewitsch, Organist

als Lektor tätig: Auf dem Schiff hält er als „Reiselektor“ Vorträge und begleitet Landausflüge. Und seit 1998 ist er nun Kreuzfahrtdirektor.
„Mich hätte nie einer auf ein Kreuzfahrtschiff gebracht“, sagt Jurgilewitsch und lächelt. „Heute kann ich nur jedem empfehlen, so etwas zu machen.“ Grönland, Spitzbergen, Amazonas, Nil – „da kommen Sie ohne Schiff nicht hin. Und man lernt die Länder aus einer anderen Perspektive kennen.“
„Der Kreuzfahrtdirektor ist das bekannteste Gesicht und die bekannteste Stimme an Bord“, sagt der 53-Jährige ohne jede Überheblichkeit. Er ist der „Generalverantwortliche“ für das gesamte Kultur- und Unterhaltungsprogramm. Er betreut Künstler wie Udo Lindenberg, Ulrich Tukur, Angelika Mil- ster, Hannelore Hoger, Sönke Wortmann oder Vicky Leandros, die alle schon an Bord der „Deutschland“ aufgetreten sind.

Vorträge von Hans-Dietrich Genscher oder Michail Gorbatschow hat er ebenfalls moderiert, und ein großer Trend ist in der letzten Zeit das Kochen geworden. „Starköche wie Johann Lafer oder Sarah Wiener erobern die Kreuzfahrtschiffe“, sagt Jurgilewitsch. Allerdings werde es immer schwieriger, die Passagiere für Bühnenprogramme zu begeistern. „Das führe ich auf die Digitalisierungswelle der letzen zehn Jahre zurück.“ Grundsätzlich aber gelte: „Die Leute wollen eine hochkarätige, aktuelle Unterhaltung, möglichst hautnah.“
Hautnah sind die Passagiere auf der „Deutschland“ auch dabei, wenn TV-Produzent Wolfgang Rademann und sein Team neue Folgen für das „Traumschiff“ drehen. Sechs Wochen im Jahr wird das bekannteste deutsche Kreuzfahrtschiff zur Femsehkulisse. „Die Schauspieler sind dann zum Anfassen, aber das Team weiß gleichzeitig genau, dass die Passagiere nur ganz minimal gestört werden dürfen. Der Passagier geht immer vor“, sagt Jurgilewitsch, der selbst schon einen Kurzauftritt als Standesbeamter in dem ZDF-Dauerbrenner hatte.

Sicherheit geht mir über alles

Hat das Unglück der Costa Concordia der Branche geschadet? Jurgilewitsch holt tief Luft. „Für diese italienische Reederei ist es eine Katastrophe, die wird nicht mehr auf die Beine kommen. Wir aber fahren unter deutscher Flagge und halten natürlich die internationalen Fahrtrouten ein. Wir haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als wir von dieser idiotischen Aktion des Kapitäns der Costa Concordia gehört haben, das war gröbste Fahrlässigkeit.“ Das Kreuzfahrtschiff sei „trotzdem eines der sichersten Verkehrsmittel. Die Sicherheitsvorschriften sind streng, aber die Grenze ist erreicht, was die Größe angeht.“

Schiffe für 4.000 bis 6.000 Passagiere sind für Jurgilewitsch ein Unding. „Individualität fehlt da vollständig. Von unseren 450 Passagieren auf der .Deutschland’ kenne ich mindestens 80 Prozent persönlich und mit Namen.“ Dass der Fünf-Sterne-Oceanliner „Deutschland“, laut Eigenwerbung ein „Grand Hotel auf See“, vornehmlich eine Luxus-Klientel bedient, streitet Jurgilewitsch nicht ab: „Wir sind nicht ganz billig, das ist klar. Aber immer mehr junge Leute verdienen heute auch das Geld, damit das Konzept aufgeht.“
Das Reisen geht weiter. Dieses Jahr hat der Globetrotter Peter Jurgilewitsch noch so einiges vor. Machu Picchu in Peru, der Titicaca-See, die Atacama-Wüste. „Das Leben hat mich hin- und herbewegt“, sagt er und lächelt. „Wie Wellen auf dem Meer.“

Gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Heiner Boehncke hat Peter Jurgilewitsch den Kreuzfahrt-Guide Ostsee verfasst (Edition Maritim, Hamburg: 256 S., 162 Farbfotos, 21 Karten; 24, 90 Euro), der soeben erschienen ist.
Thema sind Häfen, Sehenswürdigkeiten und Geheimtipps rund um das „Mare Balticum“: Boehncke gibt Literaturtipps aus allen Epochen, Jurgilewitsch steuert prächtige Fotos und exaktes Insiderwissen bei.

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